Ralph Langholz

Pflanzenbasierte Ersatzprodukte

Der Meister der fleischlosen Würste

Ralph Langholz forscht für die Migros an Fleischersatzprodukten. Für das perfekte Imitat braucht es viel Wissen und Freude am Tüfteln. Das zeigen die neuesten beiden Entwicklungen der Migros-Tochter Micarna – eine vegane Brat- und eine Grillwurst.

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Benita Vogel
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Eine lange Betonrampe, ein grosses Aluminiumtor und dahinter: Dunkelheit. In diesem Industrieareal in Sissach BL tüfteln Lebensmitteltechnologen von Micarna an der nächsten Generation von Fleischersatz. In einem Nebenraum im Untergeschoss liegt die Testküche der Migros-Tochter. Wo einst Lkw zusammengebaut wurden, arbeiten heute Ralph Langholz und sein Team mit Tischkutter und Kleinmenger. Der 47-Jährige trägt den Titel «Leiter Alternative Proteinquellen». Ralph Langholz sucht nach neuen Produkten, die viel Eiweiss enthalten.

Jeder Fünfte isst selten Fleisch

Aus der Sissacher Tüftlerküche stammen beispielsweise Produkte aus Insektenproteinen von Mehlwürmern, Grillen und Heuschrecken. Gefriergetrocknet werden sie zum Snack, verarbeitet zum Burger. «Als Proteinlieferant übertreffen manche Insekten Fleisch und sogar Nüsse, Hülsenfrüchte und Getreide», sagt der studierte Agronom.

Die Suche nach dem perfekten Fleischimitat läuft seit Langem. In China hat die Alternative seit Jahrhunderten einen festen Platz auf dem Speiseplan. In Europa sorgte vor 35 Jahren die britische Nahrungsmittelherstellerin Quorn für Furore, als sie Pflanzenfleisch aus fermentierten Pilzen auf den Markt brachte.

Die neuen Stars am Fleischersatzhimmel

Seither ist das Angebot von Fleischalternativen rasant gewachsen. Das Sojaschnitzel und das Gemüseplätzli gehören ebenso zum Standardsortiment eines Supermarkts wie etwa das Weizeneiweiss Seitan und immer mehr auch Produkte aus Erbsenproteinen. Die Hülsenfrüchte, ob Gelb- oder Kichererbsen, sind der neue Star am Fleischersatzhimmel.

Die Nachfrage steigt rasant. Vegetarische und vegane Imitate verzeichnen in der Schweiz jedes Jahr ein Umsatzwachstum von rund sechs Prozent. Wurden vor 15 Jahren noch Waren im Wert von fünf Millionen Franken verkauft, sind es heute knapp viermal mehr. Europaweit wird von einem Marktpotenzial von 20 Milliarden Franken gesprochen. «Eine wachsende Zahl von Menschen verzichtet aus ökologischen, gesundheitlichen oder Tierwohlgründen immer öfter auf Fleisch», erklärt Langholz die Entwicklung. Dazu gehören nicht nur Vegetarier (elf Prozent der Schweizerinnen und Schweizer) und Veganer (drei Prozent der Schweizerinnen und Schweizer), sondern auch Flexitarier; jeder Fünfte in der Schweiz zählt sich inzwischen nämlich zu den «seltenen Fleischessern».

Metzger machen Vegi-Würste

Die steigende Nachfrage lockt zahlreiche Investoren und Firmen, das beste Pflanzenfleisch zu entwickeln, das geschmacklich dem Tierfleisch nahekommt. Auch Fleischverarbeiter wie Micarna sind mit von der Partie. Ralph Langholz arbeitet seit drei Jahren für die Migros-Tochter. Früher war er in der Lebensmittelsicherheit und Handelsförderung von Landwirtschaftsprodukten tätig. Dabei brachte er Schweizer Importeure mit Bauern aus der ganzen Welt zusammen. Er beschäftigte sich mit Rohstoffen wie der Konjakwurzel, die für vegane Lebensmittel verwendet werden.

Dass Metzger Pflanzenfleisch produzieren, sei eine ideale Konstellation: «Sie kennen die Produkteigenschaften von Klassikern wie Burger und Würsten und die Bedürfnisse er Konsumentinnen und Konsumenten – alles Voraussetzungen, um Fleisch perfekt nachzubilden.» Die Konsistenz, Textur und Würze seien auch bei den Alternativen wichtig, so der Agronom, der selbst gerne ab und an Fleisch isst – am liebsten ein Steak. «Es kommt immer auf das Mass an», lautet sein Motto. So finden denn auch die neuen pflanzenbasierten Brat- und Grillwürste von Micarna regelmässig den Weg auf seinen Grill.

Der richtige Biss ist entscheidend

Die neuen Micarna-Würste wurden denn auch von Metzgern entwickelt. Zwar schlucke man als Fleischverarbeiter schon einmal leer, wenn sich im Mischgerät plötzlich Pflanzenmehl befinde, ist von Berufsleuten zu hören. Micarna-Entwickler Urs Kesselring fand die Produktion indes sehr lehrreich. «Wir haben die Rohlinge auf der Basis einer Erbsen- und Kartoffelproteinmischung kreiert», erklärt der 32-Jährige.

Was so einfach klingt, erfordert viel Detailarbeit. «Es gab unzählige Stellschrauben, an denen wir drehen konnten», so der Fleischtechnologe. Eine grosse Herausforderung ist es etwa, eine Konsistenz hinzubekommen, die gefällt. «Schweizer mögen einen festeren Biss als beispielsweise Konsumenten in Deutschland», sagt Kesselring. Der richtige Biss hänge von vielen Faktoren ab: den Zutaten, dem Mischverhältnis, der Wassermenge und selbst davon, wie lange und wie heiss die Wurst bei er Zubereitung gekocht wird.

Bis zu einem Jahr Entwicklungszeit

Getüftelt haben die Entwickler auch an der Haut, in die die Wurstmasse zum Formen gepresst wird. Ein Naturdarm wie bei Fleischwürsten kommt bei einer veganen Wurst natürlich nicht infrage. Deshalb verwendet Micarna einen blauen Kunststoffdarm, der nach dem Kochen entfernt wird.

Nebenher hat Kesselring alle Angaben für die Produktbeschreibung auf der Verpackung erhoben. «Die genaue Zusammensetzung und die Haltbarkeit sind Angaben, die man bei jedem neuen Produkt von Grund auf testen muss», erklärt Kesselring. Diese Tests dauerten bis zu zwei Monate. Zwischen Entwicklungs- und Verkaufsstart liegen so bis zu einem Jahr.

Poulet aus der Pastamaschine

Ralph Langholz kennt solche langwierigen Prozesse. In der Testküche in Sissach arbeiten Lebensmittelingenieure an der Weiterentwicklung von Fleischimitaten mit alternativen Proteinen zum Beispiel mit Extrudern. Das sind Maschinen, die dickflüssige oder feste Massen unter Druck verarbeiten und diese aus einer Öffnung herauspressen. «Alternative Proteine erhalten so eine Struktur, die derjenigen von Fleisch sehr ähnlich ist.» Etwa pflanzliches Pouletfleisch kann mit dem Verfahren hergestellt werden. Die dazu verwendeten Maschinen sind in der Lebensmittelbranche längst bekannt: Auch Pasta wird im Extruder hergestellt.

Daran tüftelt die Migros

In-vitro-Burger

Die jüngste Innovation ist das kultivierte Fleisch. Dafür werden einer Kuh Zellen entnommen, die dann in sogenannten Kultivatoren zu einem Fleischstück heranwachsen. Die Migros arbeitet in diesem Bereich mit dem israelischen Start-up Aleph Farms zusammen. Auch Produkte wie Pilze,Soja, Eiklar und Erbsen werden industriell zu Fleischersatz verarbeitet. Ein Beispiel ist Quorn, das als Cornatur in der Migros erhältlich ist.

Erbse im Becher

Die Suche nach alternativen Proteinen läuft auch für Joghurts. Die Migros-Tochter ELSA lanciert als erste Milchverarbeiterin einen pflanzlichen Joghurt, der auf Kichererbsen basiert. Die gelbe Hülsenfrucht ist eine gute zusätzliche Option zu den bestehenden Joghurtalternativen: Sie enthält viel Eiweiss und wenig Fett, und zusätzlich verleihen die Kichererbsen dem Joghurtersatz eine cremige Textur und hinterlassen wenig Eigengeschmack. Die neue V-Love-Joghurtalternative soll im September 2020 in den Verkauf kommen mit den Aromen Vanille, Erdbeere und Aprikose.