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Gründer von Growcer, Marcel Florian steht inmitten der vertikal-wachsenden Pflanzen

Salat in der Senkrechten

Besuch auf der ersten Vertical Farm der Schweiz

Das Start-up Growcer verbindet Technologie und Landwirtschaft. Ein Besuch bei der ersten Vertical Farm der Schweiz. Hier wachsen Salatköpfe in einem Monat heran und frisch geerntete Kräuter sind innert Stundenfrist in der Migros-Filiale.

Von
Dinah Leuenberger
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Was wir tun

Ein Salatkopf, der in einem Monat heranwächst. Kräuter, bei denen zwischen der Ernte und der Ankunft in der Migros-Filiale keine Stunde vergeht. Unmöglich? Nicht beim jungen Unternehmen Growcer, das hinter dem Basler Bahnhof SBB «Vertical Farming» betreibt und die Migros-Filiale im MParc Basel mit Gemüse beliefert. Vertical Farming bedeutet: Das Gemüse wächst in einer Halle in die Höhe anstatt in die Breite wie sonst auf dem Feld. An drei Meter hohen «Türmen», die mit Kokoswolle und Torf gefüllt sind, gedeihen Schnittsalat, Wasabi-Rucola und Kräuter unter idealen Bedingungen, bis sie nach etwa vier Wochen erntereif sind und dabei noch mehr Nährstoffe als üblich aufweisen.

In den USA und in Asien längst bekannt, ist diese Form der Landwirtschaft in der Schweiz noch neu. «Im Drehkreuz zwischen Klimawandel, Migration und Ernährungsunsicherheit lohnt es sich, auch in der Landwirtschaft die Technologie einzusetzen», sagt Marcel Florian. Der 27-Jährige ist Gründer und CEO von Growcer und fasziniert von Innovationen. Vor der Gründung von Growcer hatte er bereits erfolgeich zwei Technologiefirmen auf die Beine gestellt. Typisch für seine Generation, hat er sich irgendwann die Sinnfrage gestellt: «Ich wollte das Thema der ressourcenschonenden Nahrungsmittelproduktion und die Herausforderungen in der Landwirtschaft angehen. Darum habe ich im Februar 2019 Growcer gegründet. Wir können ein Teil der Lösung sein.» Im Start-up arbeiten heute 15 Personen, viele aus dem IT-Bereich, aber auch Agronomen, käufmännische Angestellte und Personen, die sich um Aussaat und Ernte kümmern.

Der Natur auf die Finger geschaut

Beim Betreten der sogenannten Kammern, in denen das Gemüse wächst, wird sofort klar: Hier wird nichts dem Zufall überlassen. Ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem versorgt die Pflanzen. Im hermetisch isolierten Raum herrscht ein konstantes, fast tropisches Klima – 29,5 Grad am Tag, 18 Grad in der Nacht, 90 Prozent Luftfeuchtigkeit.

«Vertical Farming kann ein Teil der Lösung sein, wie wir künftig alle Menschen der Welt ernähren.»

Marcel Florian, Gründer und CEO Growcer

Das violette Licht kommt von LED-Lampen, die an die Bedürfnisse der einzelnen Gemüsesorten angepasst sind. Bläulich leuchten sie für Kräuter, rötlich, wenn Gemüse in die Länge wachsen soll. Diese optimalen Bedingungen sorgen dafür, dass einige Gemüse fast doppelt so schnell gedeihen, wie auf dem Feld. Vor allem kann Growcer das ganze Jahr über und somit auch antizyklisch produzieren, wodurch Importe reduziert werden können. «Wir haben uns die Natur ganz genau angeschaut und holen jetzt das Beste aus ihr heraus», erklärt Florian. An einem Bildschirm, direkt neben den Kammern, demonstriert er, wie sich die einzelnen Elemente haargenau einstellen lassen: die LED-Lampen, die Temperatur, die Luftfeuchtigkeit oder die Bewässerung. Am selben Ort werden individuelle Etiketten für das frisch geerntete Gemüse ausgedruckt. Darauf befindet sich ein QR-Code, mit dem die Kunden mehr über das Produkt erfahren können: wann und wo es gesät, wann es geerntet und verpackt wurde. Bald sollen dort auch Infos zum Nährstoffgehalt, zum CO2-Verbrauch und Rezepttipps enthalten sein.

Was das normale Feld nicht schafft

Growcer hat nicht die Absicht, eine Konkurrenz zur herkömmlichen Landwirtschaft zu sein. Im Gegenteil: «Wir produzieren aktuell nur etwa ein Prozent der Menge an Blattgemüse, das für die Migros Basel benötigt wird», sagt Florian. Vielmehr sei das Ziel, möglichst antizyklisch zu arbeiten, also dann zu ernten, wenn ansonsten von weit her Ware importiert werden müsste. Oder auch Sorten anzubauen, die es hier normalerweise im Land nicht gibt: «Beispielsweise wächst unser Thai-Basilikum ganzjährig. Bisher musste er aus Asien importiert werden.» Interessant ist auch, was die Kunden am häufigsten kaufen: «Der Spitzenreiter ist der schmackhafte Wasabi-Rucola», verrät der Jungunternehmer. Aktuell kostet das Produkt Fr. 3.95 pro Packung.

Salate und Kräuter wachsen in die Höhe

«Das schlechte Gewissen wollen wir den Konsumenten nehmen.»

Marcel Florian, Gründer und CEO Growcer

Künftig will Growcer auch für andere Migros-Genossenschaften produzieren, ein zweiter Standort in der Region St. Gallen ist in Planung. Er ist nötig, damit die Transportwege möglichst kurz bleiben. Und auch für Weihnachten hat sich Growcer etwas überlegt: «Kaufen wir Gemüse und Früchte, die nicht Saison haben, haben wir zwar ein schlechtes Gewissen, aber wir kaufen sie trotzdem. Das schlechte Gewissen wollen wir den Konsumenten nehmen.» Darum baut Growcer gerade Erdbeeren an. Ein Weihnachtsgeschenk aus der Region, ohne schlechtes Gewissen.

Die ultrafrischen, knackigen Blattgemüse sind im Migros Supermarkt im MParc Dreispitz, Migros Drachen-Center und Migros Oberwil erhältlich.

Die Fakten zum Vertical-Farming von Growcer

Kurze Transportwege
Die Farm befindet sich in Nähe zum Konsumenten. So sind die Produkte frisch und die Transportwege kurz, was den Verderb reduziert und CO2 einspart.

Ressourcenarm
Vertical Farming ist wetterunabhängig und platzsparend möglich. Es werden bis zu 90 Prozent weniger Wasser als in der konventionellen Landwirtschaft benötigt. Vertical Farming benötigt Strom, allerdings kommt der aus Wasserkraft und Sonnenenergie.

Bio oder nicht?
Bioprodukte müssen in der Erde wachsen. Darum haben die Growcer-Produkte
kein Biolabel. Die Erwartungen an Bio werden jedoch übertroffen, da neben der ökologischen Anbauweise grundsätzlich auf Pestizide verzichtet werden kann und die Produkte das ganze Jahr über aus der Region kommen.

Roboter statt Mensch?
Aktuell gibt es bei Growcer zwei Roboter, die repetitive und mühsame Arbeiten wie das Herausheben der Pflanzen übernehmen. Dies erleichtert die Arbeit der Menschen. Die Farm wird aber niemals ganz ohne Menschen auskommen.

Vitamine und Nährstoffe
Der Vitamin- und Nährstoffgehalt ist bei den Produkten grundsätzlich höher als beim konventionellen Anbau, da das Gemüse schneller und frischer im Laden ankommt. Zudem wachsen die Pflanzen wegen der optimalen Anbaubedingungen nährstoffreich.

Geschmack
Da das Gemüse konstant den besten Bedingungen ausgesetzt ist, hat es neben dem hohen Nährstoffgehalt einen vollen, intensiven Geschmack.