Lager-Technikerin Daniela auf einem Rundgang im Migros-Kühllager im Verteilbetrieb Neuendorf AG.

Der Job im Tiefkühllager

Arbeiten bei minus 26 Grad

Claudia Sollberger arbeitet unter dem Gefrierpunkt. Im riesigen Tiefkühllager des Migros-Verteilbetrieb Neuendorf AG sorgt sie dafür, dass sämtliche Migros-Tiefkühlprodukte an den richtigen Ort kommen. Und kommt dabei hin und wieder ganz schön ins Schwitzen.

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Dinah Leuenberger, Claudia Vogt
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Kälte mag sie nicht besonders. Darin unterscheidet sich Claudia Sollberger nicht sonderlich von den meisten Menschen. Ihr Arbeitsklima hingegen tut das deutlich: Die 54-Jährige arbeitet in der Tiefkühl-Logistik des Migros-Verteilbetrieb in Neuendorf, wo sämtliche Tiefkühlprodukte der Migros lagern. Dort herrschen Temperaturen zwischen Minus 24 und Minus 26 Grad.

«Aber auch hier drin kann es nach Essen duften – wenn zum Beispiel Pakete mit Curry-Bowls oder Blumenkohl vorbeisausen, merkst du das sofort.»

Claudia Sollberger, Lager-Technikerin

Vor Schichtbeginn zieht Sollberger darum Thermounterwäsche, Skisocken, zwei Mützen und spezielle Schutzkleidung bestehend aus Hosen, Stiefel und Mantel an. Auch Handschuhe trägt sie zwei Paar, und um den Hals normalerweise einen wärmenden Schlauch aus Fliess. Dieser weicht jetzt – in Pandemiezeiten – der obligaten Maske, denn auch im Tiefkühler gelten die Schutzmassnahmen. Fertig angezogen steht Sollberger im Vorraum des Tiefkühllagers. Schichtwechsel! Ihre Kollegen kommen durch die dampfende Schiebetüre heraus und besprechen mit ihr und ihren Schichtgspändli, was ansteht. Dann heisst es: Helm auf und herein durch die dampfende Tür.

Zwiebellock ist angesagt: dank mehrerer Schichten und spezieller Schutzkleidung hält Claudia Sollberger die Kälte aus. Auch im Tiefkühllager gilt wegen Corona: Schutzmaske auf!

Im Innern der etwa 11 Meter hohen Halle brennen helle Neonlampen, darin stehen deckenhohe Regale, gefüllt mit braunen Kartons in allen Grössen. Um die Regale sausen Pakete und Paletten auf Förderbänder umher. In der Halle riecht es so wie die Tiefkühlerluft, die einem beim schwungvollen Öffnen der Tiefkühltruhe entgegenweht. «Aber auch hier drin kann es nach Essen duften – wenn zum Beispiel Pakete mit Curry-Bowls oder Blumenkohl vorbeisausen, merkst du das sofort» sagt Sollberger.

Glace sorgt für Hochbetrieb

Die sausenden Kartons und Paletten generieren ordentlich Lärm und viel Fahrtwind. Trotzdem ist die Kälte nicht unangenehm. «Weil sie trocken ist. So spürt man sie auch nur langsam», sagt Sollberger und erkundigt sich nach den Fingern der Schreiberin. Diese sind, in dicke Handschuhe gepackt, noch warm. Sollberger nickt zufrieden und macht sich auf, eine Treppe hoch, zur Kommissionierung.

Dort sortiert eine riesige, vollautomatische Anlage die angelieferte Ware und lagert sie in den deckenhohen Regalen ein. Dann arbeitet sie – ebenfalls automatisch – Bestellungen aus den Filialen ab. Seit Sommer 2020 ist die Anlage in Betrieb, täglich befüllt sie etwa 1700 Palette, erklärt Michael Odermatt, der in Neuendorf den Bereich Automation und Projekte leitet. Still steht sie nur am Wochenende für knapp einen Tag. «Wenn allerdings nach Ostern die Temperaturen schnell steigen, ist bei uns High-Noon. Dann wollen alle Glace und die Anlage läuft rund um die Uhr.»

In elf Meter hohen Regalen lagern sämtliche Tiefkühlprodukte, die in der Migros verkauft werden.

Der Job von Claudia Sollberger und ihren knapp 40 Kollegen besteht darin, die Anlage zu überwachen und bei Störungen einzugreifen. «Liegt zum Beispiel in einer Lieferung das kleinste Paket an erster Stelle auf dem Förderband, zeigt die Maschine eine Warnung an, wir stoppen das Band, und platzieren das Paket von Hand an die richtige Stelle», erklärt sie, während sie ebendieses tut. Richtig sortiert, rauschen die Pakete den bereitstehenden Paletten entgegen, eines für die Filiale Ipsach, eines für Mett, eines für Bötzingen. Als auch die Lieferung für Biel durchgerauscht und auf der Palette gebüschelt ist, läuft Sollberger weiter, eine Treppe hoch zur nächsten Station. Ein fragender Blick zurück zur Schreiberin: Die Hände? Inzwischen eisig, nach wenigen Minuten nur.

Päckli herumtragen bei Minus 26 Grad – für Claudia Sollberger Alltag.

Im Tiefkühler arbeiten? Nein, das wollte sie nicht

«Jetzt wird geheiratet», sagt Sollberger, oben angekommen. Wie bitte? Unter der Hallendecke, dort wo die Lüftungsrohre die kälteste Luft hineinpumpen, bei Minus 28 Grad, bekommt jeder braune Karton eine Unterlage, damit er einfacher durch die Anlage läuft. «Dem sagen wir die Hochzeit, weil aus zwei einzelnen ein Paar wird», sagt Sollberger lachend. Und was ist eigentlich drin, in den braunen Kartons? Kollege Odermatt erklärt: «Etwa 40 Prozent der Produkte sind Brot. Allen voran das Tessinerli. Aber wir lagern eben auch alle andere Tiefkühlprodukte, die es im Migros-Sortiment zu kaufen gibt. Natürlich auch die Seehundglace.»

In der Anlage ist es einiges kälter, als die für die Tiefkühlung notwendigen Minus 18 Grad. Das dient der Sicherheit der Ware. «Würde die Ware mal zwei Stunden bei 0-5 Grad draussen stehen bleiben, wäre ihre Kerntemperatur immer noch Minus 20 Grad.» Kälter ginge für die Produkte immer. Aber die Menschen – und auch die Anlage – sind froh um jedes Minusgrad weniger. Bei der Anlage sind insbesondere das Öl und die Kabel speziell auf die Kälte ausgerichtet.

«Es hat eine Weile gedauert, bis die Kollegen aufgetaut sind.»

Claudia Sollberger, Lager-Technikerin

Erneut macht Claudia Sollberger den Finger-Check: plötzlich sind diese wieder warm. Sie ist erfreut. «Jetzt hast du die Schmerzensgrenze überschritten und die Kälte überwunden. Wenn du das nicht schaffst, dann ist dieser Job unmöglich.» Ganz gewöhne man sich dennoch nie an die Kälte, man lerne höchstens, damit umzugehen. Nach einer ersten Testwoche jedenfalls, sei sie sich sicher gewesen: «Nein, mein nächster Job wird das nicht.» So wollte sie wieder zurück ins «normale» Verteilzentrum nebenan, wo die gelernte Hotelfachassistentin davor bereits während 10 Jahren gearbeitet hat. «Aber irgendwie konnte ich dann doch nicht so schnell aufgeben und habe es nochmals probiert.»

Auf der Plattform bespricht sich Claudia Sollberger mit ihren Kollegen, ehe sich alle entlang der Anlage verteilen.

Es dauerte, bis die Männer auftauten

Inzwischen arbeitet Sollberger seit fünf Jahren unter dem Gefrierpunkt. Nach etwa zwei Monaten sei sie akklimatisiert gewesen und habe gemerkt, dass man auch bei Minus 26 Grad ins Schwitzen kommen kann. «Wenn gleichzeitig mehrere Warnlampen blinken und ich die Treppen hastig nehme, geht das schnell!» Härter als die Kälte seien eigentlich die Kollegen gewesen: Der Job im Tiefkühler ist eine Männerdomäne. Eine Frau kann das nicht, hat es geheissen, Sollberger war eine der ersten. «Es hat eine Weile gedauert, bis die Kollegen mich akzeptiert haben. Aber irgendwann sind sie aufgetaut.» Trotz der Temperaturen.

Im Moment arbeiten neben Sollberger nur zwei weitere Frauen in der Anlage. Das liegt nicht primär an der Kälte, denn entgegen dem Vorurteil kommen Frauen damit besser klar als Männer: Eher liegt es vermutlich an der Schichtarbeit, die nicht immer einfach zu organisieren ist, besonders wenn man Kinder hat, weiss die 3-fache Grossmutter.

Nachdem sie sichergestellt hat, dass bei der Hochzeit alles rund läuft, gehts wieder nach unten. Dort tauscht sie sich kurz mit den Kollegen aus und macht sich dann auf den Weg Richtung Eingang, zur dampfenden Tür. Das freut auch die Schreiberin. Denn ihre Hände sind zwar wieder warm, aber die Zehen haben sich definitiv verabschiedet.

Eine Schicht im Tiefkühler dauert 8 Stunden, aber alle 90 Minuten sind 15 Minuten Wärmepause obligatorisch. Das reicht, um sich aufzuwärmen, auch jetzt im Winter. Obwohl die Temperaturschwankungen zur Aussenwelt im Winter kleiner sind, arbeitet Claudia Sollberger lieber im Sommer. «Wenn ich da nach der Arbeit ins überhitzte Auto steige, schwitze ich nicht. Ich bin quasi eine menschliche Klimaanlage. Das ist so praktisch.» Und sowieso: Kalt hat sie im Winter draussen nach wie vor. Mögen tut sie es nicht.