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Ein Schmetterling auf einer violetten Blüte

Natürliche Vielfalt

«Wir verlieren 150 bis 200 Arten täglich»

Immer schneller schrumpft die Vielfalt des Lebens. Warum Pessimismus keine Option ist und was das Kongobecken mit uns zu tun hat, verrät Biologin Frauke Fischer im Interview.

Von
Jörg Marquardt
Datum
Format
Interview

Haben Sie eine Fliegenklatsche?

Frauke Fischer: Nein, die Fliegen in meiner Wohnung fange ich lebend, meistens mit einer Streichholzschachtel und lasse sie dann frei. Freunde haben mir kürzlich einen Insektenfänger aus Plastik mit Schiebedeckel geschenkt – der ist auch praktisch. (lacht)

Warum sollten wir Fliegen, Mücken und Co. nicht erschlagen?

Aus Achtung vor dem Naturwunder. Als Biologin denke ich zudem an die gigantische Zahl, die zusammenkommt, wenn jeder Mensch einige Insekten im Jahr tötet. Positiv formuliert: Würden wir alle darauf verzichten, täten wir etwas für den Erhalt der Biodiversität.

Ist jedes Insekt wichtig für die Biodiversität?

Ja, auch wenn niemand wegen ein paar getöteten Fliegen zum Artenauslöscher wird. Jedes lebende Individuum ist ein Baustein in einem immer fragiler werdenden System des Lebens. Ich vergleiche die Situation gern mit einem Flugzeug, an dem sich langsam die Nieten lösen. Je mehr es werden, umso grösser die Gefahr, dass es abstürzt.

Wie schnell schreitet der Verlust an Biodiversität voran?

Aktuell verlieren wir schätzungsweise 150 bis 200 Arten täglich. Am stärksten betroffen ist dabei die Gruppe der Gliederfüsser, also Insekten, Krebstiere oder Spinnentiere.

Warum sind dies schlechte Nachrichten für uns Menschen?

Weil wir völlig abhängig sind von Leistungen aus Ökosystemen, die ohne Biodiversität zusammenbrechen.

Haben Sie ein Beispiel?

Nehmen wir fruchtbare Böden. Die gesamte Welternährung basiert darauf. Kein Mensch ist imstande, das Zusammenspiel von Tieren, Insekten, Mikroorganismen und Pflanzen nachzuahmen. Wir müssen Biodiversität aber auch global denken. Das Klima in der Schweiz wird im Kongobecken gemacht. Verschwinden die Regenwälder weiter so rasant, kippt das Klima demnächst auch hierzulande.

Wir müssen sofort aufhören, in intakte Ökosysteme einzugreifen.

Frauke Fischer

Was sind die Hauptursachen für den Verlust?

Neben der Zerstörung natürlicher Lebensräume sind dafür vor allem der Klimawandel, invasive Arten, Umweltgifte und die übermässige Dezimierung von Tierbeständen, etwa durch Überfischen, verantwortlich.

Wie können wir das Ruder herumreissen?

Erstens müssen wir sofort aufhören, in intakte Ökosysteme einzugreifen. Aktuell werden elf Fussballfelder Regenwald pro Minute vernichtet – das ist eine tickende Zeitbombe. Zweitens müssen wir jene Lebensräume wiederherstellen, die wir vernichtet haben. Ich denke hier an die Wiedervernässung von Mooren und anderen Feuchtgebieten.

Sind Sie eher optimistisch oder pessimistisch, dass die Kehrtwende gelingt?

Pessimismus führt nur zu Lethargie und beschleunigt so den Verlust an Biodiversität. Für mich ist Optimismus daher eine Pflicht.

Portraitbild von Frauke Fischer

Zur Person

Frauke Fischer ist Biologin, Unternehmerin und Autorin. Ihr neustes Sachbuch heisst «Wal macht Wetter». Fischer betreibt auch den Wissenschaftspodcast «Tierisch!».

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