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Japanischer Buchautor Ken Mogi

Interview

Wie werden wir glücklich, Ken Mogi?

Der Hirnforscher und Bestsellerautor hat die japanische Glückslehre Ikigai weltberühmt gemacht. Er gibt drei Tipps, wie wir mehr Freude in unser Leben bringen. Im Interview verrät er, warum eine Schweizer Heldin eine gute Glücksbotschafterin ist.

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Jörg Marquardt
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Martina Goyert
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Ikigai ist eine japanische Glücksphilosophie. Das Wort bedeutet frei übersetzt «das, wofür es sich zu leben lohnt». Laut dem Bestsellerautor und Hirnforscher Ken Mogi entfaltet sich Ikigai vor allem in kleinen Freuden, täglichen Routinen und einer Haltung der Neugier.

Ken Mogi, Sie haben mit «Ikigai» ein Buch über japanische Lebenskunst geschrieben, das zum internationalen Bestseller wurde. Macht ein solcher Erfolg glücklich?
In gewisser Hinsicht ja. Schon als Kind hatte ich den starken Drang, etwas zu schreiben, was auf der ganzen Welt gelesen wird. Und jetzt rede ich mit Ihnen in der Schweiz! Es geht aber nicht in erster Linie um beruflichen Erfolg.

Sondern?
Ich betrachte das Leben als eine lange Reise zu uns selbst. Glücklich zu sein bedeutet, unser inneres Potenzial zu entdecken und zu entfalten. In Japan haben wir dafür die Philosophie des «Ikigai».

Was verbirgt sich hinter Ikigai?
«Iki» heisst Leben, «gai» Sinn oder Wert. Es geht also darum herauszufinden, was dem Leben einen Wert gibt. Etwas, das unserem Wesen entspricht und das wir gerne tun. Ein schönes Beispiel für Ikigai kommt übrigens aus der Schweiz.

Jetzt sind wir gespannt.
Ich denke an die Geschichte von Heidi. Wir Japaner lieben sie. Heidi steht für die Suche nach Freude und Erfüllung. Auf der Alp lebt sie im Einklang mit der Natur und schätzt die kleinen Dinge des Lebens: das Zusammensein mit Familie und Freunden oder die Schönheiten der Natur.

Warum sind die «kleinen Dinge» so wichtig?
Weil sie uns im Hier und Jetzt verwurzeln. Die bewusste Wahrnehmung eines Sonnenstrahls oder einer freundlichen Geste fördern die Dankbarkeit, was wiederum zu einem positiven Lebensgefühl führt. So auch bei Heidi.

Aus ihrem Glück wird Heidi aber jäh herausgerissen und landet in Frankfurt…
Die hektische Stadt passt nicht zu ihrem einfachen, naturverbundenen Wesen. Zudem wird sie von ihrem sozialen Umfeld getrennt – ein zentraler Punkt: Unser Ikigai finden wir oft in Beziehungen und im Gefühl der Verbundenheit.

Wie haben Sie Ihr Ikigai gefunden?
Als Kind hatte ich oft Mühe, mit anderen zu kommunizieren – wahrscheinlich bin ich im autistischen Spektrum. Irgendwann begriff ich, dass darin auch eine Stärke liegt – mein eigentümlicher Blick auf die Welt. Indem ich meine Einzigartigkeit akzeptierte, fand ich meine «sichere Basis», wie wir in den Neurowissenschaften sagen.

Was ist eine sichere Basis?
Ein Zustand innerer Sicherheit und Stabilität. Um glücklich zu sein, müssen wir uns zuerst selbst akzeptieren. Der Weg zur Selbstakzeptanz führt paradoxerweise darüber, dass wir unser Selbst loslassen – unser Ego, unseren Stolz, aber vor allem illusorische Selbstbilder, die wir für erstrebenswert halten. Diese Bilder entstehen, weil wir uns mit anderen vergleichen. Ich musste mich zum Beispiel von dem Druck befreien, immer sauber und adrett auszusehen.

Um glücklich zu sein, müssen wir uns zuerst selbst akzeptieren.

Ken Mogi, Neurowissenschaftler und Bestsellerautor

Wie haben Sie sich von falschen Erwartungen gelöst?
Ich schneide mir seit einigen Jahren die Haare selbst! (lacht) Anfangs war ich noch besorgt, was die Leute über mich denken. Heute geniesse ich die Freiheit, ich selbst zu sein und meinen persönlichen Stil auszuleben. Das ist eine gute Grundlage für mein weiteres Wachstum. In dem Punkt liegen Märchen übrigens falsch.

Welche problematische Botschaft steckt in Märchen?
Da gibt es am Anfang oft eine unglückliche Prinzessin oder einen unglücklichen Prinzen. Die Figur erlebt ein Abenteuer und ist hinterher glücklich bis an ihr Lebensende. Es wird also angenommen, dass mit dem Glück das Wachstum aufhört. Tatsächlich ist es genau umgekehrt: An Tag 1 sollten wir glücklich sein, weil wir unsere Einzigartigkeit akzeptieren. So erlangen wir unsere sichere Basis, von der aus wir ins Abenteuer aufbrechen.

Das eigene Abenteuer kann aber in Konflikt mit der Gemeinschaft geraten.
Genau deswegen brauchen wir «Nagomi». Dieses japanische Wort beschreibt die Fähigkeit, einen Ausgleich zwischen Selbstentfaltung und Gemeinschaft zu finden. Der Grundgedanke ist: Jeder Mensch will auf seine Weise glücklich sein.

Wie gelingt der Ausgleich?
Indem wir aufhören, andere ständig zu bewerten. Viele Leute bilden sich ein, ihr Weg, ihre Meinung sei die einzig richtige. Nagomi bedeutet, verschiedene Sichtweisen und Bedürfnisse anzuerkennen und das Verbindende zu suchen.

Fällt es Japanern leichter, glücklich zu sein?
Uns fällt es zumindest leichter, die kleinen Dinge im Leben wertzuschätzen. Einmal bin ich während der Kirschblüte einem Deutschen in Tokio begegnet. Er war völlig irritiert, dass der Anblick der Bäume so viel Euphorie auslöste. Vielleicht gehen Menschen im Westen die Glückssuche etwas zu verkopft an.

Können wir nur glücklich sein, wenn wir auch das Unglück kennen?
Ich denke schon. In Japan werden wir immer wieder von Erdbeben, Tsunamis oder Vulkanausbrüchen heimgesucht. Unglück gehört zu unserem Leben dazu.

Ein erfülltes Leben braucht eine Vielfalt der Gefühle?
Wer nachhaltig glücklich sein will, sollte auch unangenehme Gefühle zulassen. Der Shogun Tokugawa Ieyasu hat einmal gesagt: «Das Leben ist eine lange Reise mit einer schweren Last.» Das tönt nur im ersten Moment pessimistisch. Die Last ist eine Chance zu wachsen.

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