
Migros-Kulturprozent
Martin Fröst gibt Konzerte in der Schweiz
Der Schwede Martin Fröst ist einer der Starmusiker an den Migros-Kulturprozent-Classics 2025/2026.
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Migros-Engagement
1,4 Millionen Menschen in der Schweiz sind arm oder von Armut bedroht. Sie leiden still, kaum jemand sieht sie. Marco und Elisabeth wollen gesehen werden. Sie erzählen, wie es ist, wenn das Geld fürs Nötigste kaum reicht.
«Geld ist nicht das Wichtigste», sagt Elisabeth. Und doch dreht sich fast alles in ihrem Alltag genau darum. Elisabeth ist alleinerziehend und lebt im Kanton Aargau mit ihren beiden Kindern (11 und 13) von 3200 Franken pro Monat. Das ist weit unter dem Existenzminimum. Trotzdem sagt sie: «Irgendwie geht es immer.»
Elisabeth ist eine von 700 000 Personen in der Schweiz, die offiziell als arm gelten, weil sie weniger als 2315 Franken pro Monat (für eine Einzelperson) oder 4051 Franken für eine Familie mit zwei Kindern zur Verfügung haben. Die gelernte Automechanikerin gehört zur besonders vulnerablen Gruppe der Alleinerziehenden. Weil sich Kinderbetreuung und fair bezahlte Jobs in der Schweiz noch immer schlecht vereinbaren lassen.
Ich bin immer am Rechnen und Überlegen, wo ich noch sparen könnte, auch nachts.
Sozialhilfe will die 44-Jährige trotzdem keine beantragen – aus Angst, sich zu verschulden, und auch aus Stolz. Lieber sei sie arm als abhängig. Zum Vater der Kinder hat sie ein gutes Verhältnis, doch er könne finanziell wenig beitragen. Geld verdient sie mit drei Jobs. Alle im Stundenlohn, saisonal stark schwankend, aber dafür flexibel. «Meine Kinder brauchen mich mehr als viel Geld», sagt sie. Und kämpft jeden Tag, um ihnen ein gutes Leben zu ermöglichen, mit Hobbies und Ferien. Dass beide Kinder musikalisch und sportlich sind, macht sie stolz. Ihre eigenen Träume hat sie vertagt. «Ich habe ein Jahresbudget und muss ständig rechnen, ausgleichen, abwägen, um Hilfe bitten, ich komme nie zur Ruhe.» Ihr chronisches Nesselfieber könnte eine Folge davon sein.
«Menschen mit schmalem Budget sind einem permanenten Stress ausgesetzt, über die Runden zu kommen. Sie nehmen weniger am sozialen Leben teil, sind tendenziell weniger gesund. Ein Teufelskreis», sagt Andreas Reinhart, Mediensprecher von Caritas Zürich. «Wir spüren tagtäglich, dass immer mehr Menschen finanziell am Limit leben. In unserer Schuldenberatung gibt es mittlerweile längere Wartefristen, und in den Caritas-Märkten haben noch nie so viele Menschen eingekauft.» Die steigenden Lebenskosten würden immer mehr Menschen in der Schweiz zu Working Poors machen. Also Menschen, die arbeiten, aber jeden Rappen zweimal umdrehen müssen.
Marco ist ein Working Poor. Per Definition des Bundes nicht arm, aber armutsgefährdet. Der Vater dreier Töchter zwischen 11 und 14 Jahren arbeitet in Luzern Vollzeit als Sous-Chef in der gehobenen Gastronomie. Er verdient 5100 Franken netto. «Wenn Ende Monat der Lohn kommt, bezahle ich zuerst alle offenen Rechnungen. Mit den restlichen 200 bis 400 Franken versuchen wir, einen Monat über die Runden zu kommen.» Schon ein Klassenlager einer Tochter sprengt das Budget, für die uralten Velos der Mädchen schämt er sich. Als die Heizkosten um 3000 Franken pro Jahr stiegen, konnte er nächtelang nicht schlafen. Auf die Frage, was er sich gern leisten würde, muss er lange überlegen und sagt: «Einen Besuch beim Coiffeur.» Was wichtiger ist, er muss wieder ganz gesund werden. Noch leidet er an den Folgen eines lebensgefährlichen Aortarisses. Krank zu sein, kann er sich nicht leisten.
Arm zu sein, habe ich mir nicht ausgesucht, in der Schweiz wird mir oft dieses Gefühl gegeben.
Laut Bundesamt für Statistik kann fast jede fünfte Schweizerin oder jeder fünfte Schweizer eine unerwartete Ausgabe von 2500 Franken nicht stemmen. Besonders gefährdet sind Ein-Eltern-Haushalte, Grossfamilien, Menschen mit tiefem Bildungsniveau, ältere Personen und Menschen mit Migrationshintergrund.
Familienvater Marco schämt sich nicht, wenig Geld zu haben. «Ich trage alte, günstige Kleider, wir gehen nie in die Ferien.» Was ihn belastet, ist das Gefühl, für seine Armut verurteilt zu werden. «Arm zu sein, habe ich mir nicht ausgesucht.» Auch die alleinerziehende Elisabeth sieht sich nicht als Opfer. «Ich finde immer eine Lösung. Ich habe nichts falsch gemacht.» Was sie jedoch beschämend findet: «Die Leute schauen weg, statt zu helfen.»
Was gibt den Beiden Hoffnung für die Zukunft? Elisabeth träumt von einer Anstellung in der Administration mit flexiblen Arbeitszeiten. Und Marco, der gelernte Koch, der in Luzern für die Reichen und Schönen kocht? Er wünscht sich bessere Bezahlung und kostenlose Tagesschulen für die Töchter. «Das würde meiner Frau mehr Möglichkeiten geben, eine gute Arbeit zu finden.»
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