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Adele Duttweiler
Adele Duttweiler: Wer war diese kluge und bescheidene Frau, ohne die kein Entscheid bei der Migros gefällt wurde? Und das weit über den Tod ihres Mannes hinaus.
Die grösste Liebesgeschichte der Migros beginnt mit einer völlig alltäglichen Zugfahrt: Adele Bertschi ist knapp 18 Jahre alt und fährt von Horgen nach Zürich zur Arbeit. Ihr gegenüber nimmt ein vier Jahre älterer Mann Platz. Er hat eine stattliche Postur, ist gut gekleidet, trägt einen breitkrempigen Hut. Aber das Wichtigste: Er ist völlig hin und weg von der Anmut der jungen Frau ihm gegenüber. «Er schaute mich immerzu mit grossen Augen an. Ich hatte das eigentlich nicht gern, ich war doch noch fast ein Kind», erzählt Adele Jahre später ihrem Biografen Alfred A. Hänsler über das erste Zusammentreffen mit Gottlieb Duttweiler. Diese Zugfahrt ist der Beginn einer fast 50 Jahre dauernden Liebe, aus der keine Kinder stammen, aber ein Grossunternehmen wächst, das bis heute die DNA von Adele und Dutti in sich trägt.
Doch beinahe wäre es nicht dazu gekommen. Denn Adele ist scheu und lässt sich selbst von Segelausflügen auf dem Zürichsee (ohne Wind) und Dutti hoch zu (gemietetem) Ross nicht beeindrucken. Sie finde sein Getue albern, wie der Gottlieb-Biograf Curt Riess schreibt. Für Dutti nur noch ein Grund mehr, sie zu umwerben. Schliesslich hat er seiner Mutter schon am ersten Abend verkündet, dass er diese Frau heiraten werde. 1913 tun die beiden genau das in Adeles Heimatort Horgen.
Ihre Bescheidenheit und ihr unbestechliches Wesen bleiben Adeles Markenzeichen. Die «Grande Dame» der Migros ist eine kleine und stille Person, die sich neben dem polternden Riesen Dutti aber stets mit Klarheit und Humor behaupten kann. Er ist ihr dafür ein Leben lang dankbar. «Ich hatte unglaubliches Glück, diese Frau gefunden zu haben», sagt er in einem Tondokument liebevoll. «Sie schaute bald zum Mann der Tat hinauf und bald zum Kind im Manne herunter.»
Adele ist das pure Gegenteil ihres lauten, oft streitlustigen Mannes. Und sie entgegnet jenen, die ihn als Einzelgänger bezeichnen, keck: «Und so allein und einsam war er auch nicht: Er hatte mich zur Seite.» Sie ist es, die die üblen Drohbriefe öffnet und anonymen Telefonate entgegennimmt, als Dutti mit seiner Migros den Lebensmittelhandel aufmischt. Sie sieht die aufgestochenen Reifen der Verkaufswagen und die Wut ihres Mannes. Sie wärmt unzählige Mahlzeiten wieder auf und wartet nächtelang auf ihn, weil er Zeit und Hunger vergisst.
Auf die Frage des «Schweizer Frauenblatt», was für sie Ehe bedeutet, antwortet sie 1982 prompt: «Kameradschaft.» Und es ist mehr als nur Koketterie, wenn sie sagt: «Ohne mich wäre die Migros nicht gegründet worden.»
Denn ohne seine bodenständige Adele, der Luxus nie was bedeutete, hätte Dutti nicht so genau gewusst, was die Hausfrauen wirklich wollten. Auch als Duttis übergrosser Schatten nicht mehr ist, bleibt sie im Hintergrund. In den fast 30 Jahren, die sie ihren Mann überlebt, gibt sie nur ganz wenige Interviews, hält nie eine Rede, schreibt nie einen Artikel. Aber sie redet gern mit den Leuten, hat ein viel besseres Gefühl für Menschen als ihr Mann. Dass die Migros dem Volk dienen sollte und nicht dem alleinigen Profit, diesen Grundsatz dürfte Dutti nicht allein gefällt haben. Auf Adele wird zurückgeführt, dass die Migros ihr gesellschaftliches Engagement immer weiter ausbaute.
Es war sicher nicht einfach, die Frau dieses energetischen, oft unberechenbaren Mannes zu sein, aber es gibt niemanden, der Adele Duttweiler je über ihre Rolle hat klagen hören. Sie war nicht die vernachlässigte Gattin im Haus am Zürichsee, sie war seine Beraterin, seine Kritikerin. Als das «Gewissen der Migros» wird sie oft bezeichnet. Der Grund dafür ist in Nummer 9 der 15 Thesen von Adele und Gottlieb Duttweiler nachzulesen.
Wenn der Gründer nicht mehr kann, dann die Mitgründerin und Mitkämpferin Frau Adele Duttweiler zum Rat in entscheidenden Dingen heranziehen. In ihr liegen sein Wille und sein Geist am klarsten und gütigsten für alle bereit.
Die Migros-Chefs halten sich bis zu Adeles Tod 1990 an diese Weisung. Regelmässig wird Adele Duttweiler in der Zentrale des MGB in Zürich gesichtet. Sie habe gut zuhören können, erzählen damalige Verantwortliche, ihr Erinnerungsvermögen sei ausserordentlich gewesen. Die Migros kümmert sich auch um Duttis Witwe. Verbrieft ist, dass Lehrlinge einmal pro Woche für sie einkaufen. Die Einkaufsliste gibt sie per Telefon durch.
Es ist, als hätte die Migros-Familie ihre Mutter verloren.
Als sie 97-jährig stirbt, schreibt der damalige Migros-Chef Pierre Arnold: «Adele Duttweiler war es, die mir in schwierigen Zeiten Mut machte, mich beraten und unterstützt hatte. Es ist, als hätte die Migros-Familie ihre Mutter verloren.» Diese Frau war auch ohne Dutti eine stille Riesin – er wäre ohne sie wohl bedeutend weniger gross geworden.
Erfahre mehr über die frühen Verkaufswagen, den ersten Selbstbedienungsladen sowie über Gründer Gottlieb Duttweiler und seine Frau Adele.