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Die Kirschen sind reif! Neu sind sie noch nachhaltiger. Was steckt dahinter? Ein Augenschein im Berner Seeland auf der Kirschenplantage von David Hofmann.
Vor dem Bauernhaus in Sutz (BE) liegt der Bielersee. Hinter dem Haus stehen an die 600 Kirschbäume in Reih und Glied. Sie sind mit einem feingliedrigen, schwarzen Netz umzäunt. 2025 verspricht ein gutes Kirschenjahr zu werden: Der Frühling war weder zu trocken noch zu nass, und rechtzeitig vor der Ernte liess die Sonne die Früchte reifen. Landwirt David Hofmann schlüpft durch die vorhangartige Öffnung. Innerhalb des Netzes steht die Luft still. Kein Windhauch ist zu spüren. Die Chriesibäume sind zudem mit einem Regenplastik überdacht. Er schützt die Kirschen vor starkem Regen und Hagel. Eine sinnvolle Sache, doch unter dem Kunststoff staut sich die Hitze. «Hier drin haben wir zehn Grad mehr als ausserhalb des Netzes. An einem heissen Tag messen wir bis 45 Grad», sagt Hofmann. Der 37-Jährige hat den mittelgrossen Obstbetrieb vor sieben Jahren von seinen Eltern übernommen. Zum Hof gehört eine weitere Kirschenplantage mit nochmals 1400 Bäumen, zudem 1000 Zwetschgen- und 10’000 Apfelbäume.
Das Netz hält nicht nur gefrässige Vögel von den Früchten fern, es ist so engmaschig, dass auch die gefürchtete Kirschessigfliege keine Chance hat, an die Früchte zu gelangen, denn ihre Larven lassen sie verfaulen. «Dank des Netzes muss ich die Kirschen weniger oft spritzen», sagt Hofmann. Gegen einen anderen Schädling hat er einen weiteren Trick auf Lager. Alle paar Meter hängen in den Bäumen orangefarbene, dünne Streifen. Sie verströmen einen Duftstoff, der den männlichen Schalenwickler verwirrt. Durch diese Methode findet er das Weibchen nicht und es entstehen keine Raupen, die sich durch die Kirschenblätter fressen. Auch so spart Hofmann Pflanzenschutzmittel ein. Kosten und Arbeitsaufwand werden dadurch aber insgesamt nicht weniger.
Das sind nur zwei Beispiele aus einem Katalog mit rund hundert Massnahmen, die für einen nachhaltigeren Anbau von Kirschen und Zwetschgen sorgen. Seit diesem Jahr können sich alle Schweizer Kirschen- und Zwetschgenproduzenten, die den Handel, also auch die Migros, beliefern, für das nationale Branchenprogramm «Nachhaltigkeit Früchte» anmelden. Dieses umfasst einen Katalog mit konkreten Massnamen. Die Betriebe verpflichten sich, im Programm eine bestimme Gesamtpunktzahl zu erreichen und so den Anbau von Kirschen und Zwetschgen noch nachhaltiger zu gestalten.
David Hofmann hat vergangenes Jahr bereits als Pilotbetrieb mitgemacht und an der Ausgestaltung des Katalogs mitgearbeitet. «Unser Ziel war, dass möglichst alle Kirschen-Betriebe mitmachen. Deshalb müssen die Anforderungen realistisch sein», erklärt Hofmann. Im ersten Jahr müssen 30 Punkte aus dem Katalog erfüllt sein, im zweiten Jahr 35, dann 40. Die gestaffelte Umsetzung soll den Produzentinnen und Produzenten etwas Zeit geben, falls sie neue Anschaffungen tätigen müssen.
Hofmann hatte Glück. So hat er die dieselbetriebene Hebebühne, mit der er die oberen Kirschen abliest, bereits früher durch eine elektrische ersetzt. Kostenpunkt: 80’000 Franken. Auch die Holzheizung, die sein Wohnhaus beheizt und die alte Ölheizung ablöste, kann er auf der Checkliste als eine Massnahme verbuchen. Neu legt Hofmann auch sogenannte Buntbrachen an. Das heisst, dass er auf einigen Ackerflächen Blumenwiesen anlegt, die Lebensraum für Insekten bieten und so zur Biodiversität beitragen. Während acht Jahren baut er auf diesen Flächen nichts anderes an.
Plötzlich kommt doch ein kleiner Wirbelwind auf: Lio springt heran, die Füsschen in bunte Gummistiefel gepackt. Der Dreijährige klettert auf eine Leiter, schnappt sich zielsicher die dunkelste Kirsche und steckt sie sich in den Mund. Dann zeigt er, wie richtig ausspucken geht. Als er seine Mama mit der knapp einjährigen Mayla im Arm erblickt, pflückt Lio ein paar Chriesi mehr vom Baum und geht rückwärts die Leiter runter. Er streckt seiner kleinen Schwester eine Kirsche hin, die er mit seinen Zähnchen bereits halbiert und vom Kern befreit hat. Die Kleine verdrückt die süsse Frucht sichtlich vergnügt.
In diesen Früchten steckt die Arbeit eines ganzen Jahres.
David Hofmann blickt zu seiner Frau Leona und seinen beiden Kindern. «Nachhaltigkeit bedeutet für mich auch, dass wir für unsere gesunden Früchte einen angemessenen Preis bekommen. Und zwar nicht einfach einer, der zum Überleben reicht, sondern mit dem wir Investitionen tätigen können, die langfristig und bis in die nächste Generation wirken.» Durch das neue Nachhaltigkeitsprogramm bekommt Hofmann nun 25 Rappen pro Kilogramm Tafelkirschen mehr, für die Tafelzwetschgen 20 Rappen pro Kilogramm.
Ideen, wie er seinen Hof noch nachhaltiger führen könnte, hat Hofmann bereits. Den Kunstdünger möchte er bald ersetzen mit der Komposterde eines Champignonproduzenten aus der Region. Die ist reich an Humus, was seinen Boden mit reichlich Nährstoffen versorgen würde.
Jetzt, wenn bald die ganze Schweiz in die Sommerferien verreist, kommt für die Hofmanns die strengste Zeit. Während vier bis fünf Wochen lesen fünfzehn bis zwanzig Personen jeden Tag die Kirschen von Hand ab. Insgesamt etwa 20 Tonnen. Im August folgen die Zwetschgen und im September und Oktober die Äpfel. Das heisst nicht, dass in der restlichen Zeit keine Arbeit anfällt. Im Winter ist Hofmann während dreier Monate täglich damit beschäftig, die Bäume zu schneiden. «In diesen Früchten steckt die Arbeit eines ganzen Jahres», sagt er und zeigt auf die dunkelroten Kirschen. Er wuschelt Lio übers Haar. Dieser lacht verschmitzt, die Lippen tiefblau vom Kirschensaft, und steckt sich ein weiteres, pralles Chriesi in den Mund.
Nachhaltigkeit ist Teil unserer Kultur und wir haben noch viel vor. Erfahre mehr darüber in unseren Stories!